Auf
der anderen Seite
Sie dachte lange
nach. Saß am Fenster und gab keinen laut von sich. Ihr Blick verlor
sich und alles um sie herum verblasste. Sie hörte den Regen fallen,
hörte wie er gegen das Fenster trommelte und dachte einfach nach.
Sie dachte an ihre
Freundin Susie und wie sie sich am Vorabend gestritten hatten, weil
Susie nicht verstehen wollte, wie es ihr mit der Scheidung ihrer
Eltern ging. Sie hatte gelacht und leicht gesagt, dass dies nun
wirklich nicht schlimm sei und das sie es hatte kommen sehen.
Erinnerte sich, wie sie gezankt und sich Gemeinheiten an den Kopf
geworfen hatten. Es machte sie wütend, aber auch traurig. Konnte sie
von ihrer Freundin nicht ein wenig mehr Verständnis erwarten? Sie
dachte daran, wie sehr sie sich geärgert hatte und wie sie
schließlich wütend und verletzt von dannen gezogen war. Sie hatte
nicht nach Hause gehen wollen. Dort würden ihre Eltern sie
überrascht ansehen und sie fragen, weshalb sie zurückgekommen
war und sie hatte wirklich keine Lust gehabt, das zu erklären. Entzürnt war sie also durch die dunklen Straßen gelaufen und wusste
nicht wo sie hingehen sollte. Schließlich war sie zu ihrer besten
Freundin gegangen. Jessie liebte Besuch und war nur ungern allein,
daher freute sie sich zu jeder Uhrzeit, wenn jemand bei ihr vorbei
schaute. Als sie auf der Türschwelle gestanden hatte, hatte Jessies
Gesicht gestrahlt und sie hatte sich gleich wohl gefühlt. Geborgen.
Und doch war heute alles anders. Obwohl Jessie lächelte, wusste sie,
sie hatte einen schlechten Zeitpunkt erwischt. Sie sah Jessies Augen
verräterisch glänzen und ihr Lächeln wirkte herzlich, aber
schmerzerfüllt. Sie hatten sich nahe Zueinander gesetzt und sie
hatten angefangen von alten Erinnerungen zu erzählen. Es machte Spaß
von den alten Zeiten zu reden und es lenkte Jessie ab. Sie lächelte
hin und wieder und manchmal musste sie so lachen, dass ihr Lachen in
einem erschöpften Husten unterging. Sie hatten sich an den Händen
gehalten. Ihre ganz warm und weich und Jessies dünn und kalt und bis
tief in die Nacht hinein so da gelegen, auf Jessies Bett. Irgendwann
war Jessie halb eingeschlafen und murmelte nur noch leise Worte vor
sich hin. Plötzlich war die Krankenschwester hereingekommen und
hatte Jessie ihr Schmerzmittel verabreicht. Danach war Jessie gar
nicht mehr ansprechbar. Es war der Moment indem sie anfingen zu
weinen. Sie sah zu ihrer besten Freundin hinab und wusste, dass sie
nicht mehr lange Zeit haben würden. Weinend hielt sie Jessies Hand
in ihrer und ihr Körper wurde von Schluchzern geschüttelt. Irgendwann war sie eingeschlafen. Aufgewacht war sie von einer
leichten Berührung an ihrer Schulter. Sie hatte die Augen geöffnet
und in die Augen von Jessie, Nein von Jessies Mutter gesehen. Sie
waren voller Tränen und sie wusste, dass etwas nicht stimmen konnte.
Als sie Neben sich geblickt hatte, hatte sie Jessie gesehen. Jessie,
wie sie immer gewesen war und doch war etwas anders. Jessies Augen
waren geschlossen, doch wirkte sie anders. Sie hatte auf ihre Brust
gesehen und konnte keinen Atemzug entdecken. Während sie geschlafen
hatte, mit der Hand ihrer besten Freundin in der ihren, hatte diese
die Welt hinter sich gelassen. Die Welt, ihre Familie, das
Krankenhaus, die Schmerzen und auch sie.
Ein Klopfen riss
sie aus ihren Erinnerungen. Ihre Mutter öffnete die Tür und hielt
ihr das Telefon entgegen. „Es ist Susie. Sie möchte mit dir
reden.“ Zögerlich nahm sie das Telefon entgegen und starrte eine
Weile darauf. Susie war manchmal eine egoistische Kuh und sie war
anstrengend und doch war sie ihre Freundin. Und da war noch etwas.
Die andere Seite. Denn auf der anderen Seite, hatte Susie ihr Zeit
geschenkt. Der Streit hatte sie zu Jessie getrieben. Hätten sie sich
nicht gestritten, wäre sie in dieser Nacht niemals zu Jessie
gegangen. Es war eine traurige Nacht gewesen. Vielleicht sogar die
traurigste ihres Lebens und doch hatte sie Jessies Hand gehalten und
war bei ihr gewesen, als diese sie vielleicht am meisten gebraucht
hatte. Eine Träne rann ihre Wange hinab und ein leises lächeln flog
über ihre Lippen. Dann hob sie den Telefonhörer ans Ohr. „Hey.“
flüsterte sie.
Ellen
So traurig, aber wie immer sehr sehr schön geschrieben =)
AntwortenLöschenLiebe Grüße
Luisa
Dankeschön :)
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